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Es gibt kein Recht auf ein Kind – und daran wird auch ein listiges Marketing und nur dem Anschein nach progressive Narrative nichts ändern

Mirko Hüttner (Deutschland)
Veröffentlicht mit freundlicher Genehmigung des Autors

 

Wir waren auf einer Geburtstagsparty. Mein Partner und ich sind schwul und hatten in der letzten Zeit über mehrere Ecken immer häufiger von Paaren gehört, die Kinder aus einer Leihmutterschaft hätten. Wie sehr sich doch die Welt veränderte, dachten wir. Wir se0 lbst hatten nie an eigene Kinder gedacht. Als wir einem Paar vorgestellt wurden, waren wir sehr interessiert, denn sie waren gerade im Begriff, Kinder durch eine Leihmutterschaft in Auftrag zu geben. Wir fanden alles sehr spannend und den gesamten Abend gab es kein anderesThema mehr.

Auf der Heimfahrt hatte ich jedoch irgendwie doch ein befremdetes Gefühl. Es waren viele medizinische und juristische Begriffe gefallen. Es ging um Erfolgsquoten von Embryonentransfers, Preisunterschiede in verschiedenen Ländern, der Möglichkeit der Geschlechtsselektion, Schwierigkeiten mit deutschen und amerikanischen Krankenversicherungen, aber auch Fragen zur Einbürgerung und letztlich die Angst, die Leihmutter wolle das Kind nicht hergeben. Mein Partner war begeistert, ja geradezu euphorisch. Er hatte Telefonnummern und Email-Adressen getauscht und zeigte mir in den kommenden Tagen und Wochen immer wieder Bilder schwuler Paare mit Kindern, Influencer auf YouTube und auch eine Seite extra für schwule Männer, die Kliniken und Agenturen mit konkreten Preisen aufzeigte.

Ich war schockiert, denn die Preise waren sechsstellig. Wir hatten nicht so viel Geld, somit sollte der schöne Traum ohnehin hier enden. Ein bisschen traurig war ich schon, denn alles hatte so harmonisch gewirkt. Auf manchen Fotos waren sogar die Leihmutter mit Partner und Kindern und zudem die Eizellspenderin mit Mann und Kindern abgebildet. 12 Personen, ein modernes erweitertes Familienkonstrukt. Seltsam und ansprechend zugleich. Es war die Rede von Teilhabe, dem Erlangen reproduktiver Rechte, Ankommen in der Mitte der Gesellschaft und Sinn. Mitunter war es mir alles etwas zu emotionalisiert, aber im Grunde war auch ich sehr angetan. Die Amerikaner seien doch so überschwänglich, das dürfe ich alles nicht so eng sehen. Im Nachgang erkundigte sich mein Partner und fand heraus, dass die Organisation, die auch die Seite mit den Preisvergleichen betrieb, finanzielle Unterstützung geben könne. Doch die horrenden Preise und nun diese angebotene finanzielle Unterstützung schwuler Männer durch eine amerikanische Organisation wirkten sehr befremdlich auf mich. Wir sahen Reportagen, in denen die Männer sagten, dass ihre Tochter im Rahmen einer Baufinanzierung mitfinanziert worden sei.

Es ging nur noch um Geld und es kam dann auch zu ersten Streitigkeiten mit meinem Partner. Ich solle nicht ans Geld denken, schließlich ginge es um einen Menschen. Wo ein Wille ist, sei auch ein Weg. Er suchte nach Seminaren, Kongressen, Tagungen und ähnlichem zum Thema und so saßen wir irgendwann auf einer Fachtagung zu alternativen Familienformen, das sich gezielt an queere Personen richtete. Dort berichteten Leihmutterschafts-Väter von ihrem Glück und luden zu einem großen Kongress in Brüssel. Schwangere Transmänner, nannten sich Seepferdchen-Papas und berichteten vom Unverständnis in ihrem Umfeld. Einige zogen ihr Kind gender-neutral groß und andere in einem Kollektiv ohne feste Bezugsperson. Alternative Kinderbücher lagen aus und alle Teilnehmer waren wirklich sehr sympathisch.

Doch im Gegensatz zu meinem Partner wuchs mein Unbehagen. Es wurde nie thematisiert, wie es den Kindern gehen könnte. Wir bekamen dazu den Buchtipp Was sagen die Kinder dazu? und alle Zweifel sollten ausgeräumt sein. In unserer Partnerschaft ging es nun fast nur noch darum, mich zu überzeugen und die Finanzierung irgendwie zu stemmen. Mir war alles zu kurz gedacht. Kritische ethische Aspekte wurden in Sendungen wie SternTV, Galileo oder Nachtcafé nur kurz angerissen. Nun kamen auch Freunde und Bekannte auf mich zu und wollten wissen, warum ich so zurückhaltend sei. Wir wären doch wunderbare Väter. Es gäbe halt keine andere Möglichkeit für Schwule oder Transfrauen, Kinder zu bekommen. Die Leihmütter wollten helfen und so könne man diese auch annehmen. Mich verwunderte, dass niemand kritisch war, außer unseren Eltern, die es unwürdig fanden, ein Kind zur Ware oder Dienstleistung zu degradieren. Das wurde jedoch weggewischt. Sie wollten auch kein Geld leihen, was zu weiterem Ärger in der Verwandtschaft führte. Die neuen Bekannten unterstrichen, dass die Großeltern ihre Meinung schon ändern würden, sobald man diesen ihre Enkel vorstelle. Unsere Eltern und Großeltern entstammten halt einer anderen Generation. Nun werde alles eben moderner. Und wieder lächelnde, sympathische und freundliche Gesichter überall. Ich hatte ab jetzt das Gefühl, überredet zu werden. Warum konnte ich mich nicht einfach freuen?

Mein Partner war in Facebook-Gruppen unterwegs, wollte zum Kongress der amerikanischen Organisation nach Brüssel und türmte Bücher von alternativen Familien vor mir auf. Er zeigte mir, dass viele bekannte Menschen in den USA Leihmütter beauftragt hätten. Und die Organisation, die auch das Preisvergleichsportal führt, veranstalte in vielen westlichen Großstädten weltweit Kongresse, Workshops und Kinderwunschmessen. Auf diesen können sich Agenturen, Kliniken und internationale Anwaltskanzleien vorstellen. Diese finden auch in Ländern wie Deutschland statt, obwohl die Praktik der Leihmutterschaft verboten ist. Ein bekannter Autor hat die Entstehungsgeschichte seiner Familie durch Leihmutterschaft in einem Buch dezidiert festgehalten. Dieses Buch ist mittlerweile in viele Sprachen übersetzt und zum Standardwerk der Szene geworden. Dieser tritt nun auch als Repräsentant für Kliniken und Agenturen in Erscheinung. Diesen sollte ich bald in Brüssel ebenso kennenlernen wie die anderen neuen Bekanntschaften, die mein Partner mittlerweile im Internet gefunden hatte. Manchmal erinnerte es mich fast schon ein bisschen an eine Sekte. Diese neuen Bekanntschaften schwärmten von ihrem großen Glück und unterstrichen, dass sich im Alltag niemand traue, etwas gegen ihre Familiengründung per Leihmutterschaft zu sagen.

Das gesellschaftliche Klima sei aktuell sehr liberal. Wenn ich mich auch selbst für liberal halte, wurde mir bald alles zu viel und so habe ich gezielt begonnen, kritische Stimmen zum Thema Leihmutterschaft zu finden. Diese fand ich zunächst in feministischen Kreisen. Ich war verwundert, denn ich hatte die ganze Zeit immer von Feministinnen „Mein Bauch gehört mir!“ gehört. Erst mit der Zeit verstand ich, dass es zwei konträre Arten des Feminismus gibt und moderner Queer-Feminismus z.B. für Prostitution („Sexarbeit ist Arbeit!“) und Leihmutterschaft („Leihmutterschaft ist Reproduktionsarbeit!“) ist. Der ältere Radikalfeminismus sieht in der Leihmutterschaft eine der größten Ausbeutungen der Frau und spricht sich deutlich dagegen aus. Infolgedessen bemerkte ich auch, dass dieses beim Thema Transgender ebenso ist. Auch hier stehen sich zwei verschiedene Ausrichtungen des Feminismus völlig gegensätzlich gegenüber. Ich las, dass die Harry-Potter-Autorin J.K. Rowling ins Kreuzfeuer geraten war und ich wusste nicht, was für ein Wespennest die gesamte Thematik um Transgender und auch Leihmutterschaft ist. Ich war sehr dankbar, dass ich Stimmen fand, die mein Unwohlsein unterstützten statt alles gutzuheißen und als Fortschritt in den Himmel zu loben.

Insbesondere interessierte mich bei der weiteren Recherche die Sicht der Kinder, denn diese wurden quasi nie thematisiert. Höchstens als Embryos. Ob sie vor der Implantation genetisch getestet würden, ob man das Geschlecht bestimmen werde, ob man vorsichtshalber zwei Embryonen einsetze, falls sich ein Embryo nicht einniste. Bei Kaffee am Bistrotisch wurde mit völlig Fremden erörtert, wer welche Embryonen befruchtet habe. Ob es eine Leihmutter gebe oder zwei verschiedene, wobei die Eizellspenderin in den meisten Fällen identisch sei. Die zweite wäre aus Kostengründen nun jedoch in Südamerika, da dort zudem die Wartelisten auch kürzer seien.

Ihnen qualmt der Kopf? So ging es uns auch. Nun wurde es auch meinem Partner zuviel. Ich recherchierte weiter und fand Vereine von Spenderkindern, die sich gegen Leihmutterschaft aussprachen. Wir sahen die Filme der amerikanischen Filmemacherin und ehemaligen Kinderkrankenschwester, Jennifer Lahl, die die dunkle Seite von Leihmutterschaftsarrangements beleuchtete. Ich lernte, dass es Leihmutterschaft früher auch in armen Ländern wie Thailand und Indien gab, dieses jedoch aus gutem Grunde wieder verboten worden sei. Mich schockierten bekannte tragische Fälle wie Baby M. und Baby Gammy. In diesen Fällen wollte die Leihmutter das Kind nicht hergeben oder ein Kind mit Trisomie21 wurde nicht von den Eltern angenommen. Aber auch der Fall der kalifornischen Agenturbetreiberin Theresa Erickson verstörte. Diese hatte in der Ukraine günstig Kinder per Leihmutterschaft in Auftrag gegeben und teuer in die USA vermittelt. Zufällig sei sie aufgefallen. Diese sagte, dass sie nur eine kleine Nummer in der Leihmutterschaftsindustrie sei und noch ganz andere Dinge geschehen. Konkretisieren wollte sie das nicht, aber mich gruselte.

Ich sah Interviews mit deutschen und amerikanischen Kindern aus Leihmutterschaft, die unter ihrer Entstehungsgeschichte litten und sich nur zögerlich an die Öffentlichkeit trauten. Ich fand Seiten wie anonymous.us, initiiert von einem Spenderkind, das anderen einen geschützten Raum bieten möchte, ihre Geschichte zu erzählen. Ebenso Them before us, von einer Frau, die zwar liebevoll von ihren lesbischen Müttern großgezogen worden sei, aber gleichzeitig ein Leben lang unter ihrer Sehnsucht nach einem Vater gelitten habe. Daheim konnte sie dieses nicht thematisieren, da alles mit der rhetorischen Frage „Was ist schon normal?“ abgetan worden sei. Auch sie möchte anonym die Geschichten der nun meist Teenager und jungen Erwachsenen erzählen lassen.

Es war für uns viel Arbeit, alternative und kritische Informationen zu finden. Insbesondere auf deutsch ist nicht viel zu finden. Daher begrüße ich diese Publikation sehr, denn kritische Informationen sind unabdingbar, um sich ein ganzheitliches Bild zu verschaffen. Es wäre zudem hilfreich, wenn die Medien dieses vielschichtige Thema angemessen kritisch beleuchten würden. Es ist einfach, niedliche Babyfotos und glückliche Familienbilder zu zeigen. Diese werden von den Zuschauern auch gerne gesehen. Das Kleingedruckte in Verträgen liest niemand gern. Beim Thema Leihmutterschaft wird jedoch noch nicht einmal das Kleingedruckte vollständig und leicht erhältlich zur Verfügung gestellt. Zudem ist das Thema so exotisch für die breite Masse, dass es nicht lange im Gedächtnis bleibt, um überhaupt eine Meinung bilden zu möchten. „Soll doch jeder machen, was er für richtig hält“, heißt es dann.

Mich erschüttert es, wie wir schwulen Männer gezielt als Käuferschaft umworben werden. Natürlich nur die solventen Männer, denn Leihmutterschaft ist teuer. Das geschickte Marketing hat dabei für jeden Punkt eine Einwandbehandlung und ist sich dabei für nichts zu schade. Die Lösung sei hier die völlige Legalisierung, damit die Preise fallen. Der Staat habe auch nicht über die Körper vonFrauen zu entscheiden. Und Kinder, die sich ver- bzw. gekauft vorkommen, sollten sich doch letztlich freuen, Wunschkinder zu sein. Schwule würden quasi genötigt, da sie ja nicht selbst austragen könnten. Die einseitige Berichterstattung und das geschickte Marketing generiert Wünsche, die letztlich auf dem Rücken der Kinder ausgetragen werden. Sollte nicht das Glück der Kinder stärker wiegen als der Wunsch der Eltern? Wenn man hinreichende Informationen hat und ehrlich ist, ist es dann doch schnell klar: Natürlich geht es um viel Geld. Natürlich geben Vermittlungsorganisationen Rabatte, um finanzschwächere Kunden zu gewinnen. Natürlich sind die Leihmütter vertraglich zum Stillschweigen verurteilt. Natürlich erzählen sie, dass alles wundervoll sei, schließlich sind die Bestelleltern letztlich ihre Kunden.  Natürlich wird das Kind zur elitären und teueren Trophäe degradiert.

Natürlich wird niemand von Regierungsrang sich trauen eine kritische Debatte anzustoßen, sondern sich lieber mit den niedlichen Babys fotografieren lassen. Sogar im Gegenteil probiert die Regierung aktuell gemeinsam mit dem Selbstbestimmungsrecht auch Eizellspende und Leihmutterschaft zu legalisieren. Warum werden die Kinder nicht gefragt? Verbote funktionieren nicht, da Menschen dann ins Ausland gehen. Es muss aufgeklärt werden statt romantisch zu verklären. Wenn Menschen keine Leihmutter beauftragen, wird die Nachfrage sinken. Wenn Frauen sich nicht als Leihmutter rekrutieren lassen, kann der Markt nicht bedient werden. Und wenn Kinder laut sagen, dass sie das niemals wollten, werden vielleicht Menschen davon Abstand nehmen. So wie wir. Es gibt kein Recht auf ein Kind. Aber das Kind hat das Recht nicht gehandelt zu werden. Und schwule Paare mit einem Kind sind nicht mehr in der Mitte der Gesellschaft angekommen als schwule Paare ohne Kind. Dieses könnte sich die Schwulenbewegung von der Frauenbewegung der 70er/80er Jahre gerne abgucken.

Mirko Hüttner (Deutschland)

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